Beschlagnahme russischer Privatfahrzeuge und anderer Gegenstände an der EU-Grenze

Tanja Galander|

Rechtsanwältin, Local Partnerin

October 24, 2023|

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Seit Juni dieses Jahres wurde bekannt, dass der deutsche Zoll vermehrt Kraftfahrzeuge russischer Privatpersonen, die mit Aufenthaltserlaubnissen bzw. gültigen Visa eines Mitgliedstaates der EU nach Deutschland einreisen, beschlagnahmt und zudem strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen möglicher Sanktionsverstöße eröffnet. Auch die Russische Botschaft in Deutschland warnte (und warnt) davor, dass russische Bürgerinnen und Bürger mit einem privaten Pkw nach Deutschland einreisen. Gemäß Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) 833/2014 ist es verboten, die in Anhang XXI aufgeführten Güter, die Russland erhebliche Einnahmen erbringen und dadurch die Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ermöglichen, unmittelbar oder mittelbar zu kaufen, in die Union einzuführen oder zu verbringen, wenn sie ihren Ursprung in Russland haben oder aus Russland ausgeführt werden.

 

In Anhang XXI sind unter KN-Code 8703 0000 folgende Waren aufgeführt:

Personenkraftwagen und andere Kraftfahrzeuge, ihrer Beschaffenheit nach hauptsächlich zum Befördern von < 10 Personen bestimmt (ausg. Omnibusse der Pos. 8702), einschl. Kombinationskraftwagen und Rennwagen.

Es finden sich aber beispielsweise auch folgende Listungen in Anhang XXI (um nur einige zu nennen):

3306

Zahnpflegemittel und Mundpflegemittel, zubereitet, einschl. Haftpuder und Haftpasten für Zahnprothesen; Garne zum Reinigen der Zahnzwischenräume „Zahnseide“, in Aufmachungen für den Einzelverkauf

3307

Rasiermittel, zubereitet, einschl. Vorbehandlungsmittel und Nachbehandlungsmittel, Körperdesodorierungsmittel, zubereitete Badezusätze, Haarentfernungsmittel und andere zubereitete Riechmittel, Körperpflegemittel oder Schönheitsmittel, a.n.g.; zubereitete Raumdesodorierungsmittel, auch nicht parfümiert, auch mit desinfizierenden Eigenschaften

3401

Seifen; als Seife verwendbare organische grenzflächenaktive Erzeugnisse und Zubereitungen, in Stangen, Blöcken, geformten Stücken oder Figuren, auch Seife enthaltend; organische grenzflächenaktive Erzeugnisse und Zubereitungen zum Waschen der Haut, in Form einer Flüssigkeit oder Creme, in Aufmachungen für den Einzelverkauf, auch ohne Gehalt an Seife; Papier, Watte, Filz und Vliesstoffe, mit Seife oder Reinigungsmitteln getränkt, bestrichen oder überzogen

4202

Reisekoffer, Handkoffer, Kosmetikkoffer und Aktenkoffer, Aktentaschen, Schultaschen, Brillenetuis, Etuis für Ferngläser, Fotoapparate, Filmkameras, Musikinstrumente oder Waffen und ähnl. Behältnisse; Reisetaschen, Isoliertaschen für Nahrungsmittel oder Getränke, Toilettentaschen (Necessaires), Rucksäcke, Handtaschen, Einkaufstaschen, Brieftaschen, Geldbörsen, Kartentaschen, Zigarettenetuis, Tabakbeutel, Werkzeugtaschen, Taschen für Sportartikel, Schachteln für Flakons oder Schmuckwaren, Puderdosen, Besteckkästen und ähnl. Behältnisse, aus Leder, rekonstituiertem Leder, Kunststofffolien, Spinnstoffen, Vulkanfiber oder Pappe, oder ganz oder überwiegend mit diesen Stoffen oder mit Papier überzogen

4803

Toilettenpapier, Handtuchpapier, Serviettenpapier und ähnl. Papier zur Verwendung im Haushalt, zu hygienischen Zwecken oder für die Körperpflege, Zellstoffwatte und Vliese aus Zellstofffasern, auch gekreppt, gefältet, durch Pressen oder Prägen gemustert, perforiert, auf der Oberfläche gefärbt, verziert oder bedruckt, in Rollen mit einer Breite > 36 cm oder in quadratischen oder rechteckigen Bogen, die ungefaltet auf einer Seite > 36 cm und auf der anderen Seite > 15 cm messen

6204

Kostüme, Kombinationen, Jacken, Kleider, Röcke, Hosenröcke, lange Hosen (einschl. Kniebundhosen und ähnl. Hosen), Latzhosen und kurze Hosen, für Frauen oder Mädchen (ausg. aus Gewirken oder Gestricken sowie Windjacken und ähnl. Waren, Unterkleider, Unterröcke, Unterhosen, Trainingsanzüge, Skianzüge und Badebekleidung)

8212

Rasiermesser, nichtelektrische Rasierapparate und Rasierklingen (einschl. Rasierklingenrohlinge im Band), aus unedlen Metallen

8517

Fernsprechapparate, einschließlich Telefone für zellulare Netzwerke und andere drahtlose Netzwerke; andere Sende- oder Empfangsgeräte für Töne, Bilder oder andere Daten, einschließlich Apparate für die Kommunikation in einem drahtgebundenen oder drahtlosen Netzwerk (wie ein lokales Netzwerk oder ein Weitverkehrsnetzwerk); Teile davon (ausg. Sende- oder Empfangsgeräte der Pos. 8443, 8525, 8527 oder 8528)

Art. 3i der Verordnung (EU) 833/2014 enthält keine Ausnahme zur Mitnahme zur persönlichen Verwendung, wie das zum Beispiel Art. 3h Abs. 3a der Verordnung (EU) 833/2014 (Luxusgüterexportverbot) für bestimmte Schmuckware vorsieht.

Gemäß Art. 3i Abs. 3a der Verordnung (EU) 833/2014 gilt das Verbot nach Art. 3i Abs. 1 lediglich nicht für Käufe in Russland, die für die Tätigkeit der diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Union und der Mitgliedstaaten, einschließlich Delegationen, Botschaften und Missionen, oder für den persönlichen Gebrauch von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten und ihren unmittelbaren Familienangehörigen erforderlich sind. Mithin ist diese Ausnahme für russische Staatsangehörige nicht einschlägig.

Die Auslegung von Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) 833/2014 durch den deutschen Zoll könnte zu weitgehend erscheinen, da es in Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) 833/2014 heißt „die in Anhang XXI aufgeführten Güter, die Russland erhebliche Einnahmen erbringen und dadurch die Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ermöglichen…“. Die hier in Rede stehenden privaten Kraftfahrzeuge sollen offenbar aber nicht in Deutschland verkauft werden, sondern dienen überwiegend der privaten Nutzung der einreisenden Personen.

Auch in den Erwägungsgründen der Verordnung (EU) 2022/1904 des Rates vom 6.10.2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014, die die Erweiterung des Anhangs XXI – unter anderem um Personenkraftwagen – einführte, wird unter Erwägungsgrund (6) betont, dass weitere Güter dem Einfuhrverbot hinzugefügt wurden, da Russland aus ihnen erhebliche Einnahmen zieht.

 

Zweck der Einfuhrverbote des Art. 3i der Verordnung 833/2014 ist folglich der Entzug von Einnahmequellen für Russland durch den Kauf, die Einfuhr oder die Verbringung der gelisteten Waren in das Unionsgebiet. Ziel sind mithin nicht privat genutzte Kraftfahrzeuge, die in der EU nur genutzt und nicht veräußert werden und mit denen die Nutzer üblicherweise auch wieder ausreisen (vgl. auch ausführlich Galander/Evers in ZASA 3/2023, 126ff.).

Eine Klarstellung der Kommission in ihren FAQ war daher gefordert und erfolgte zunächst am 8. September 2023 dahingehend, dass die Auslegung des deutschen Zolls richtig war und auch eine Einfuhr zu touristischen Zwecken der in Anhang XXI gelisteten Güter untersagt sei.

Dies führte nun zu erheblichen Irritationen, denn wie oben gezeigt, unterfallen auch Damenbekleidung, Hygieneartikel, Laptops und Mobiltelefone den Einfuhrbeschränkungen. Auch in Russland selbst wurde die Auslegung propandistisch ausgeschlachtet und als Zeichen https://finance.ec.europa.eu/system/files/2023-09/faqs-sanctions-russia-listed-goods_en_0.pdf der Verfolgung russischer Menschen und Russophobie gewertet. Die EU Kommission veröffentlichte daher am 12. September 2023 eine Klarstellung in ihren FAQ () folgt:

„13. Can Russian nationals temporarily bring personal goods and vehicles listed in Annex XXI and subject to the prohibition in Art. 3i of Council Regulation 833/2014 into the Union, e.g. for touristic travels?

As per the case law of the European Court of Justice, sanctions need to be interpreted broadly, among other reasons in order to ensure effectiveness of the adopted prohibitions and avoid circumvention. It is for the national competent authorities to assess each situation and to implement the prohibitions accordingly. Article 3i of Council Regulation 833/2014 prohibits the purchase, import, or transfer, directly or indirectly, of goods as listed in Annex XXI to the Regulation if they originate in Russia or are exported from Russia. This includes motor vehicles (cars) falling under CN code 8703. Furthermore, motor vehicles are a category of goods prone to circumvention, hence national competent authorities need to pay particular attention to them. It is not relevant whether the use of the vehicles is private or commercial as long as the vehicles are falling under a CN code listed in Annex XXI (e.g. CN code 8703) and are originating in or are being exported from Russia. This is most likely the case for vehicles having a Russian license plate and are registered in Russia. The duration of their possible stay in the Union and respectively the customs procedures under which they will be placed (e.g. release for free circulation or temporary admission) is also not relevant. For goods which raise insignificant circumvention concerns, like personal hygiene items or clothing worn by travelers or contained in their luggage and clearly destined for a strict personal use during their trip, national competent authorities should continue to apply the prohibition in a proportionate and reasonable manner.”

Was “proportionate and reasonable manner” bedeutet, dürften die EU-Länder und Zollbehörden aber durchaus unterschiedlich auslegen, was leider nicht für Rechtssicherheit sorgt. Zudem sind alle russischen Staatsbürger potentiell betroffen, die in die EU einreisen, also auch Oppositionelle und Kriegsgegner.