Nach Art. 5n Abs. 2 der Sanktionsverordnung der EU Nr. 833/2014 ist es verboten, in der Russischen Föderation ansässigen juristischen Personen Rechtsberatung zu erteilen. Eine Ausnahme sieht Art. 5n Abs. 5 und 6 für die Rechtsverteidigung vor Gericht und den Zugang zu Gerichts-, Verwaltungs- und Schiedsverfahren vor.
Vor dem Landgericht Berlin ist im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 15 Abs. 2 Bundesnotarordnung (BNotO) die Frage relevant, ob die notarielle Beurkundung eines Wohnungskaufvertrages zwischen einer russischen Verkäuferin und einem deutschen Käufer unter das Rechtsberatungsverbot fällt. Im vorliegenden Fall hatte der Berliner Notar die Beurkundung verweigert und die Parteien haben Beschwerde zum Landgericht eingelegt.
Das Landgericht hat ausgeführt, dass es aufgrund eigener Auslegung davon ausgehen würde, dass die Beurkundung durch Notare keine verbotene Rechtsberatung nach Art. 5n der Verordnung EU-833/2014 darstellt, da der Notar nach deutschem Recht keine Dienstleistung erbringt, sondern eine Amtstätigkeit ausübt. Im Übrigen wäre aus Sicht des LG Berlin das Verbot des Art. 5n selbst dann nicht einschlägig, wenn die Beurkundung eine juristische Dienstleistung wäre, weil dann die Ausnahme aus Art. 5n Abs. 6 der VO EU-833/2014 eingreift.
Das Gericht sieht sich aber ein einer Entscheidung gehindert, da die Europäische Kommission in ihren Auslegungshilfen “FAQ” den Standpunkt eingenommen hat, dass auch die notarielle Beurkundung von Verträgen mit russischen Gesellschaften vom Verbot des Art. 5n der Verordnung EU-833/2014 erfasst sei (https://finance.ec.europa.eu/publications/provision-services_en, dort Ziffer 21, Stand 21. Dezember 2022, abgerufen am 20.05.2023). Obwohl die Auslegung der Kommission keine Verbindlichkeit besitzt, löst der von der Kommission veröffentlichte Rechtsstandpunkt aus Sicht des Landgerichts Berlin begründete Zweifel an der Auslegung der EU-Verordnung Nr. 833/2014 aus, so dass das Gericht dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:
1. Verstößt ein deutscher Notar gegen das Verbot, unmittelbar oder mittelbar Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung für eine in Russland niedergelassene juristische Person zu erbringen, wenn er einen Kaufvertrag über ein Wohnungseigentum zwischen dieser Person als Verkäuferin und einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union beurkundet?
2. Handelt ein Dolmetscher gegen das Verbot der unmittelbaren oder mittelbaren Dienstleistung im Bereich der Rechtsberatung, wenn er sich von dem Notar zur Beurkundung des Kaufvertrages hinzuziehen lässt, damit er dem der deutschen Sprache nicht ausreichend kundigen Vertreter der in Russland niedergelassenen juristischen Person den Inhalt der Beurkundungsverhandlung übersetzt?
3. Verletzt der Notar das Verbot der unmittelbaren oder mittelbaren Dienstleistung im Bereich der Rechtsberatung, wenn er gesetzlich vorgesehene notarielle Tätigkeiten zum Vollzug des Kaufvertrages (z. B. Abwicklung der Kaufpreiszahlung über ein vom Notar geführtes Treuhandkonto, Anforderung von Dokumenten zur Löschung von Hypotheken und anderen Belastungen der Kaufsache, Vorlage der zur Eigentumsumschreibung notwendigen Dokumente bei der das Grundbuch führenden Stelle) übernimmt und ausführt?
Den Volltext der Vorlageentscheidung finden Sie hier: